Interview in der Liewo vom 23.04.2023 (Melanie Steiger)

Nicht nur in der Politik, auch beruflich setzt sich Daniel Bosshard als Umweltnaturwissenschaftler für die Natur ein. Die Wahlkreise Werdenberg und Sarganserland sind im Kanton St. Gallen die einzigen, in denen die Grünen noch keine Regionalgruppe gebildet haben. Das will er ändern.

Herr Bosshard, Sie möchten in den Wahlkreisen Werdenberg und Sarganserland Regionalparteien gründen. Wie kommen Sie voran?
Daniel Bosshard, Präsident Grüne St. Gallen und Kantonsrat: Im Sarganserland hat sich ein sechsköpfger Vorstand gebildet und am 27. April ist die Gründungsversammlung der neuen Regionalpartei. Im Wahlkreis Werdenberg hingegen stiess unser geplanter Infoabend auf geringeres Interesse. Hier führen wir noch vor dem Sommer einen Austausch im kleineren Rahmen durch, mit dem Ziel, Kandidierende für die Kantonsratswahlen zu gewinnen. Mittelfristig soll aber auch im Werdenberg eine Regionalpartei gegründet werden.

Personen zu finden, die sich engagieren, ist nicht mehr so einfach.
In den Vereinen wie in der Politik. Im Sarganserland engagieren sich viele junge Menschen zwischen 30 und 40 Jahren. Ich komme aus der Stadt St. Gallen und bin nicht regelmässig in der Region. Darum versuche ich, mich aktuell im Werdenberg besser zu vernetzen und den Austausch zu fördern. Werdenberg ist einwohnermässig der kleinste Wahlkreis im Kanton und eher ländlich geprägt. Für uns ist es etwas schwierig, hier Fuss zu fassen.

Warum?
Wir haben zwar Mitglieder hier, aber nur wenige, die sich aktiv engagieren. Wir versuchen nun, alle Kanäle zu nutzen, um interessierte Personen zu erreichen. Im Wahlkreis Werdenberg haben wir in Buchs den höchsten Wähleranteil. Unsere Wählerschaft ist eher in städtischen Gebieten zu finden. Vielleicht haben wir hier in der ländlichen Region deshalb etwas Mühe. Aber ich bin davon überzeugt, dass es auch hier Menschen gibt, die sich für grüne Politik und das Werdenberg engagieren wollen.

Wie finden Sie heraus, wo sich Regionalparteien bilden könnten?
Grundsätzlich streben wir eine in jedem Wahlkreis im Kanton St. Gallen an. Bisher fehlen uns noch das Sarganserland und Werdenberg. In allen anderen Regionen sind wir vertreten. Das ist ein Ziel, das ich mir als Präsident der Grünen im Kanton St. Gallen gesetzt habe.

Ist die Ostschweiz eine Knacknuss?
Nicht in dem Sinn. Früher fehlten wohl die Ressourcen, um als Kantonalpartei proaktiv Regionalparteien zu gründen. Die bestehenden Regionalparteien haben sich selbst initiiert. Im Sarganserland haben sie aber nur darauf gewartet, dass jemand die Initiative ergreift.

Die Grünen gewinnen an Aufschwung. Hilft Ihnen der Zeitgeist?
Der Mitgliederzuwachs ist ein wichtiger Punkt. Seit der grossen Klimadebatte und der Klimajugend 2019 ist die Anzahl der Mitglieder in der Schweiz um 28 Prozent, im Kanton St. Gallen gar um 40 Prozent gestiegen. Zuwachs erhielten wir vor allem von jüngeren Personen bis 40 Jahre. Seit den letzten nationalen Wahlen haben wir einen Generationenwechsel durchgemacht. Unsere Kandidatin Franziska Ryser spricht auch die jüngeren Menschen an. Als Parteipräsident habe ich zudem auch im Kantonalvorstand einen Generationenwechsel vorangetrieben.

Politik verlangt viel Engagement. Sie sind Präsident der Grünen St.Gallen, im Kantonsrat, selbstständig und haben Familie.
Es ist eine Herausforderung, aber hier hat die Selbstständigkeit einen Vorteil und erlaubt mir die dafür nötige Flexibilität. Ich kann fast jeden Morgen mit meinen Kindern frühstücken. Ich sehe sie öfter als wenn ich Angestellter wäre. Es gibt Phasen, da fokussiere ich mich stärker auf das Berufliche, und wenn Sitzungen im Kantonsrat sind, dann steht diese Tätigkeit im Vordergrund. Ich muss auch nicht bei allen politischen Anlässen und Apéros dabei sein, sondern vor allem dort, wo es einen Mehrwert bringt. Ich musste auch lernen, Nein zu sagen. Und ich mache wirklich sehr gerne Politik, es fühlt sich nicht wie eine Belastung an.

Gibt es viele Kandidaten, die ins Parlament möchten?
In Anbetracht der Nationalratswahlen haben wir vier Listen, die wir relativ problemlos zusammenstellen konnten. Vereinzelt brauchte es aber auch Gespräche und Überzeugungsarbeit. Die Chance auf einen zweiten Nationalratssitz im kommenden Herbst ist relativ gering. Bei den Kantonsratswahlen ist es sehr abhängig davon, in welchem Wahlkreis man sich bewegt. Im Sarganserland sieht es sehr gut aus, da werden wir bestimmt eine Liste mit Kandidierenden füllen können. Aus dem Werdenberg haben wir bereits einzelne Kandidaten, aber es wird eine Herausforderung, weitere Personen zu finden. Man will schliesslich die Liste nicht einfach füllen, sondern eine ausgewogene Wahl an Personen bieten.

Wie viel Aufwand braucht es, um die Listen zu erstellen?
Für die Bildung unserer Nationalratslisten war ich um die 100 Stunden beschäftigt. Wichtig war mir dabei, dass unsere Listen ausgewogen sind, unter anderem hinsichtlich der regionalen Herkunft oder der Altersstruktur. Eine ausgewogene Liste zu bilden und die dafür passenden Kandidierenden zu finden, ist zeitaufwendig, aber der Aufwand hat sich aus meiner Sicht gelohnt.

Sie sind Mitglied mehrerer Naturorganisationen und beruflich setzen Sie sich ebenfalls für die Umwelt ein.
Aus dem Beruf bringe ich das Fachwissen mit. Im Sommer bin ich viel draussen in den Naturschutzflächen und berate Behörden und Landwirte. Meinen Kindern versuche ich, den Wert der Natur im Kleinen näherzubringen, beispielsweise, dass man den Abfall nicht einfach auf den Boden oder auf die Wiese wirft.

Waren Sie immer ein naturverbundener Mensch?
Mein Zugang zur Natur kam erst nach meinem 20. Lebensjahr. Erst machte ich eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich und war in einem internationalen Chemieunternehmen in der Logistik tätig. Auf dem Zweitweg absolvierte ich die Matura. An der ISME in St.Gallen hatte ich einen Biologielehrer, der über die Überlebensstrategien der Tiere referierte, und das hat mich sehr fasziniert. 2007 waren die Wahlen und Bastien Girod wurde im Kanton Zürich für die Grünen in den Nationalrat gewählt. Ich las, dass er Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich studiert hat. Ich kannte diesen Studiengang bis dahin nicht und informierte mich anschliessend näher darüber. Die Kombination von natur- und geisteswissenschaftlichen Fächern hat mich begeistert. Bereits damals merkte ich, dass man in der Politik etwas bewirken kann und es auch mehr Fachwissen in den Parlamenten braucht. Zu dieser Zeit war der Klimawandel noch nicht wirklich in der Politik angekommen.

Vermischen sich die Politik und Ihr Berufsleben?
Im berufichen Umfeld bin ich die Fachperson. Einige Auftraggeber wissen, dass ich politisch aktiv bin, die anderen nicht. Es wird nicht vermischt, das finde ich auch wichtig. In der Politik versuche ich hingegen, mein Fachwissen aus der Praxis einzubringen.

Ihnen liegt auch etwas am Herdenschutz. Vor allem im Sarganserland ist das ein grosses Thema.
Klar ist, dass sobald die Population der Wölfe zunimmt, es in der engen Schweiz zu Konflikten kommen kann. Wenn ein Wolf ein unnatürliches Verhalten aufweist, können die Behörden bereits heute eingreifen. Herdenschutz ist nicht überall mit verhältnismässigem Aufwand möglich. Ich nehme die Ängste und Sorgen der Menschen sehr ernst. Beruflich habe ich viel mit Landwirten zu tun. Es ist wichtig, zu wissen, wo Herden noch ungeschützt sind und mit welchen Massnahmen die Nutztiere ausreichend geschützt werden können. Aber man kann nicht per se das Tier nochmals ausrotten. Wenn wir als Gesellschaft gemeinsam an einem Strang ziehen, dann ist eine Koexistenz von Mensch und Wolf möglich. Ich habe hier eine sehr differenzierte Meinung.

Die Grüne setzt sich stark für die Energiewende ein.
Im Kantonsrat haben wir einen Vorstoss für eine Solaroffensive für bestehende Bauten eingereicht. Dieser wurde leider von der Ratsmehrheit abgelehnt. Wir werden nun Unterschriften für eine kantonale Initiative für eine St.Galler Solarofensive sammeln. Wir müssen unabhängiger werden vom Ausland. Die Wasserkraft im Kanton ist hingegen grösstenteils ausgeschöpft, bestehende Anlagen können aber noch optimiert werden.

Der Kanton St. Gallen will, dass die Windenergie im künftigen Energiemix eine Rolle spielt. Wie stehen Sie dazu?
Ich habe in der letzten Vorstandssitzung unserer parteiinternen Arbeitsgruppe «Klima & Energie» den Auftrag erteilt, ein Positionspapier zur Windkraft im Kanton St. Gallen zu verfassen. Wir gehen auch zu Dialogveranstaltungen des Kantons, die aktuell stattfinden. Wir stellen uns nicht gegen die Windkraft, aber Windräder können nicht dort errichtet werden, wo es zu grossen Konflikten mit der Natur kommt, wie beispielsweise in unmittelbarer Nähe zu Naturschutzgebieten. Wir wollen die Energiewende konsequent vorantreiben, dabei sollte der Hauptfokus aber auf dem Ausbau der Solarenergie liegen. Die Windkraft hat sicher auch Potenzial. Man muss es ganzheitlich betrachten und die Vor- und Nachteile seriös abwägen.

In der Politik ist man auch der öffentlichen Meinung ausgesetzt. Wie erleben Sie Kritik?
Die erste Hasswelle erfuhr ich während der Coronapandemie, als ich die lasche Haltung des Regierungsrates kritisierte. Ich erhielt viele Rückmeldungen, auch positive, und einige brauchten einfach ein Ventil. Und sobald man sich als Befürworter des Wolfes zeigt, obwohl ich meiner Ansicht nach eine differenzierte Meinung darüber habe, gibt es negative Rückmeldungen. Ich erhielt sogar eine anonyme Morddrohung per Post. Darin stand, man solle nicht nur den Wolf abschiessen, sondern auch die Grünen. Oft sind es Personen, die ihren Frust hinauslassen. Ich nehme es ernst und kann damit umgehen. Es beschäftigt mich einen Moment, dann hake ich es ab. Das gehört zur Politik und kommt zum Glück selten vor. Die positiven Seiten überwiegen. Das motiviert wieder für den nächsten Schritt.

Gehört das einfach dazu?
In der Politik braucht man eine dicke Haut, auch im Kantonsrat mit unseren grünen Anliegen. Bei der Solaroffensive sind wir von einem rechtsbürgerlichen Kantonsrat als «Kommunisten» betitelt worden, was einfach lächerlich ist. Im Rat werden die Debatten manchmal hart geführt, aber danach kann man wieder normal miteinander reden oder zusammen ein Bier trinken gehen.

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