Wie der «Republik» vom 7. Oktober 2020 zu entnehmen ist, bezahlen Schweizer Gasversorger dem Verband der Schweizerischen Gasindustrie (VSG) jedes Jahr sehr hohe Mitgliederbeiträge. Wie hoch genau die Beiträge jeweils sind und was alles mit diesem Geld passiert, ist unklar. Offenkundig ist jedoch, dass der VSG daraus unter anderem Image-Kampagnen für die fossil dominierte Gasver-sorgung und massive Lobbyarbeit für gasfreundliche Gesetze finanziert. Die von den St.Galler Stadtwerke mitfinanzierten Aktivitäten des VSG stehen teilweise im klaren Widerspruch zu den klima- und energiepolitischen Zielen der Stadt St.Gallen.

Die möglichst rasche Abkehr von Kohle, Erdöl und Erdgas ist notwendig, um den Klimawandel zu stoppen. Anstelle von Erdgas sollte nur noch Biogas sowie synthetisches Gas auf Basis erneuerbarer Energien als Energiequelle genutzt werden. Das führt zu der Frage, in welchem Ausmass sich Erdgas durch erneuerbare Gase ersetzen lässt.

Einheimisches Biogas steht nur in geringem Umfang zur Verfügung
Einheimisches Biogas kann auch unter Ausnützung des gesamten Potenzials kaum mehr als 10 Pro-zent des heutigen Absatzes von fossilem Erdgas substituieren – eine beunruhigende Tatsache, die übrigens auch der VSG nicht in Frage stellt. Importiertes Biogas kommt als nachhaltige Lösungsoption nur begrenzt in Frage, weil dessen naturverträgliches Potenzial in den Nachbarländern viel zu niedrig ist für die dortige Dekarbonisierung des Gasverbrauchs – für die Schweiz bleibt also rein rechnerisch nichts übrig. Zudem erhält die Schweizer Kundin/der Schweizer Kunde von Import-Biogas derzeit nicht den vollen ökologischen Mehrwert seines Biogases geliefert – sondern bloss fossiles Erdgas mit Zertifikat. Synthetische Gase wiederum sind nur dann klimaverträglich, wenn sie unter anderem mithilfe von 100 Prozent zusätzlich erzeugtem oder überschüssigem erneuerbaren Strom produziert werden. Die hohen Wirkungsgradverluste im Power-to-Gas-Verfahren (PtG) führen dazu, dass dafür sehr viel erneuerbarer Strom zusätzlich erzeugt werden müsste – was zudem die Kosten in die Höhe treiben würde. Greift man dagegen einzig auf (kostengünstigen) Überschuss-Strom zurück, kann man noch lange warten auf substanzielle Mengen an PtG – auch dies stellt der VSG nicht grundsätzlich in Frage.

Im Gebäudesektor sind daher die Senkung des Energiebedarfs, der direkte Einsatz erneuerbarer Energien (Tiefengeothermie, Solarthermie, Holz, Abwärme) sowie die Wärmepumpe mit erneuer-barem Strom die Mittel der Wahl. Für Biogas und synthetisches Gas verbleiben vor allem diejenigen Anwendungsfelder, wo eine effiziente, direkte Nutzung von erneuerbaren Energien oder Strom nicht möglich ist, z.B. dort in der Industrie, wo sehr hohe Prozesstemperaturen zu erreichen sind. Ob PtG für die saisonale Stromspeicherung erforderlich sein wird, ist noch unklar. Selbst wenn PtG zu diesem Zweck zum Einsatz käme, würde auch dafür ein grosser Teil des Gasverteilnetzes nicht gebraucht.

Kurz: Klimaverträgliche gasförmige Energieträger gibt es auf absehbare Zeit nur quantitativ stark begrenzt, sodass sie nur für die Anwendungen zur Verfügung stehen, für die es partout keine Alternative gibt – klar räumlich begrenzt im Vergleich zur heutigen Ausdehnung des Gasnetzes. Damit stehen Gasnetz und Gasversorgung von heute stark in Frage. Wenn sich ein Branchenverband wie der VSG gegenüber diesen Schlussfolgerungen aus den oben genannten Erkenntnissen verweigert und mit immensen Beitragsmitteln massive Öffentlichkeits- und Lobby-Kampagnen für Erhalt und Ausbau der Gasversorgung fährt, dann torpediert er damit die Erreichbarkeit der Klimaschutzziele der Schweiz und der Stadt St.Gallen.

In diesem Zusammenhang bitte ich den Stadtrat um die Beantwortung der folgenden Fragen:

  1. Wie hoch sind die gesamten direkten und indirekten Zahlungen (inklusive aller Beiträge und Beteiligungen), die die St.Galler Stadtwerke jährlich im Durchschnitt der letzten drei Jahre an den VSG ausgerichtet haben?
  2. Wie hoch sind allenfalls zusätzliche direkte und indirekte Zahlungen an regionale Verbände der Gasbranche (wie z.B. Verband der Gaswirtschaft der Ostschweiz, der Zentralschweiz und des Tessins, VGOZT), die die St.Galler Stadtwerke jährlich im Durchschnitt der letzten drei Jahre an den VSG ausgerichtet haben?
  3. Wofür genau werden die Beiträge an den VSG eingesetzt? Welcher Anteil der Beiträge fliesst in klassische Service-Angebote wie Schulungen, Normenarbeit, Innovationsförderung etc.? Welcher Anteil fliesst in Imagekampagnen, Abstimmungskampagnen, Lobbyarbeit und andere Aktivitäten, die letztlich Ausbau und Erhalt der immer noch nahezu vollständig fossilen Gasversorgung zum Ziel haben?
  4. Wofür werden die Zahlungen an regionale Verbände eingesetzt? Zu welchem Zweck existieren diese zusätzlichen Strukturen?
  5. Kann der Stadtrat ausschliessen, dass städtische Gelder an den VSG und die regionalen Gasverbände de facto gegen die Klimaschutzziele der Stadt St.Gallen eingesetzt werden?
  6. Wie will der Stadtrat künftig gewährleisten, dass die Zahlungen der St.Galler Stadtwerke ausschliesslich im klimapolitischen Interesse der Stadt St.Gallen eingesetzt werden: Einfluss via Verwaltungsrat des VSG? Zweckbindung der Beitragsmittel? Anteilige Kürzung der Beiträge? Ruhen der Mitgliedschaft, bis der VSG und regionale Gasverbände sich glaubwürdig für eine realistische Gasversorgung im Einklang mit der Klimapolitik der Stadt St.Gallen und des Bundesrats einsetzen? Austritt aus dem VSG und/oder regionalen Gasverbänden?

Interpellation vom 4. Mai 2021