Beitrag im St.Galler Tagblatt vom 16.12.2023 (Marcel Elsener)

Die Grünen nehmen 2024 einen zweiten Anlauf für einen Sitz in der St.Galler Regierung: Ihr Kandidat ist Parteipräsident und Kantonsrat Daniel Bosshard, Umweltwissenschaftler und Inhaber eines Ökologiebüros.

Im Botschaftszimmer des Regierungsgebäudes haben die Grünen Kanton St.Gallen am Mittwoch ihre Kandidatur für die Regierungswahlen am 3. März 2024 bekanntgegeben. Ihre Botschaft ist klar: Mit Parteipräsident und Kantonsrat Daniel Bosshard soll ein grüner Unternehmer den Kanton in der Regierung nachhaltig mitgestalten.

«Wir sind die einzige Partei, die sich konsequent für den Umwelt- und Klimaschutz einsetzt», sagte Nationalrätin Franziska Ryser. «Ein wesentlicher Teil der Bevölkerung ist aktuell nicht in der Regierung vertreten, St.Gallen aber braucht diese starke Stimme fürs Klima.

Ryser, die den Sitz der St.Galler Grünen im Nationalrat im Oktober als Panaschierkönigin mit einem Glanzresultat halten konnte, war an der Medienkonferenz kurzfristig eingesprungen für die erkrankte Vizepräsidentin Rahel Würmli. Die ehemalige Rapperswiler Stadträtin war vor vier Jahren erstmals für die Grünen zu den Regierungswahlen angetreten. Dabei bestätigte sie mit einem überraschend guten Resultat das Wahlpotenzial der Partei, verzichtete dann aber auf den zweiten Wahlgang.

Umweltwissenschaftler mit vielseitiger Berufserfahrung

Nun steigt also Daniel Bosshard ins Rennen, der knapp 40-jährige Umweltwissenschaftler mit eigenem Ökologieberatungsbüro. Seit 2020 präsidiert er die St.Galler Grünen, 2021 wechselte er vom St.Galler Stadtparlament in den Kantonsrat, wo er für Basil Oberholzer nachrückte.

Aufgewachsen in Freienbach am Schwyzer Zürichseeufer, der Vater Heizungsmonteur und die Mutter Reinigungskraft, arbeitete Bosshard nach einer kaufmännischen Lehre als Logistikkoordinator in einem multinationalen Chemiekonzern. «Die Weigerung dieses Unternehmens, die Verantwortung für den schlimmsten Chemieunfall der Geschichte (Bhopal) zu übernehmen, hat mein politisches Bewusstsein geprägt», sagte Bosshard.

Folglich holte er auf dem zweiten Bildungsweg in St.Gallen die Matura nach und studierte an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften. 2014 zog er zurück nach St.Gallen, wo er mehrere Jahre als Fachmitarbeiter im kantonalen Amt für Natur, Jagd und Fischerei tätig war. Seit 2019 ist er selbstständiger Unternehmer.

Die Vielfalt seiner beruflichen Erfahrungen in der Industrie und der Kantonsverwaltung sowie als Leiter eines eigenen Unternehmens strich der Vater von zwei Kindern an der Vorstellung als Regierungsratskandidat speziell hervor: Sie ermögliche ihm unterschiedliche Positionen einzunehmen, was in der Politik ein Vorteil sei, wo es um ausgewogene Lösungen gehe.

Kantonsrat mit Verwaltungs- und Wirtschaftserfahrung

Tatsächlich ist Bosshard, stets korrekt gekleidet und frisiert, kein «Klischee-Grüner» und gilt als sachorientierter Politiker, der über die Parteigrenzen hinweg wirkt. Dies belege schon sein erster Vorstoss gemeinsam mit zwei FDP-Ratskollegen (zum Thema Amtsgelübde), betonte Fraktionschef Meinrad Gschwend.

Als Kantonsrat mit Verwaltungserfahrung kenne Bosshard die Abläufe in der Pfalz und verstehe als Mann der Praxis ausserdem das Spannungsfeld Landwirtschaft und Naturschutz. Die Fraktion schätze seine Kompetenz in ökologischen Fragen, aber auch seine wirtschaftlichen und organisatorischen Unternehmer-Fähigkeiten.

Im Namen der Jungen Grünen erwähnte Stadtparlamentarierin Rebekka Schmid mehrere Vorstösse Bosshards mit und im Sinn der Jungparteien, wie zuletzt (vergeblich) zur Einführung eines Stellvertretersystems für den Kantonsrat, das eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Politik erlauben würde.

Selber strich der Kandidat den «wertvollen Austausch mit Bäuerinnen und Bauern» und sein Interesse an allen Regionen des Ringkantons hervor – er verstehe sich, ennet dem Ricken aufgewachsen und heute in der Hauptstadt wohnhaft, sowohl als Vertreter der ländlichen als auch der städtischen Kantonsgebiete.

Auf der Nationalratsliste erster Ersatz

Bei den jüngsten Nationalratswahlen erzielte Daniel Bosshard hinter Franziska Ryser mit rund 9500 Stimmen den zweiten Listenplatz – knapp vor Meret Grob, die auch für den Ständerat kandidierte. Zwar büssten die Grünen im Oktober auch im Kanton St.Gallen Stimmen ein, doch hielt sich der Verlust (minus 1,8 Prozent) im Vergleich zum nationalen Ergebnis (minus 3,4 Prozent) in Grenzen.

Der Wähleranteil von 8,7 Prozent im Kanton liegt leicht unter dem nationalen Durchschnitt, doch sei die Partei dank gestärkten Strukturen gut unterwegs, meinte Franziska Ryser: «In St.Gallen wachsen wir etwas langsamer, aber nachhaltiger. Wir haben das Potenzial noch nicht ganz ausgeschöpft.»

Ob die Vorzeigefrau der St.Galler Grünen, die in Bern bereits zu den politischen Schwergewichten zählt, ihren Kanton künftig auch als nationale Parteipräsidentin beflügeln kann, ist allerdings nicht anzunehmen. «Stand jetzt» sei das «kein Thema», sagte Ryser, die Ende Januar ihr erstes Kind erwartet.

Für ihre Kandidatur verzichteten die Grünen – anders als die SP – bewusst auf eine öffentliche Inszenierung des parteiinternen Auswahlverfahrens und veröffentlichen denn auch keine weiteren Namen. Eine Findungskommission hatte drei Interessierte angefragt, von denen sich zwei wieder zurückzogen.

Nun soll Bosshard am 23. November an einer Mitgliederversammlung nominiert werden. Allfällige Verbindungen mit den Nationalratslistenpartnern SP und GLP sind derzeit noch nicht spruchreif – ganz zu schweigen von Absprachen und Manövern vor einem zweiten Wahlgang.

Die Grünen-Kandidatur ist die fünfte Nomination für die Regierungswahlen 2024: Ende Oktober nominierte die SP ihre Fraktionspräsidentin Bettina Surber und die amtierende Regierungsrätin Laura Bucher, um ihre beiden Sitze in der Regierung zu verteidigen. Wenig später folgte die FDP mit der Nomination ihrer bisherigen Regierungsräte Beat Tinner und Marc Mächler.

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